Samstag, 9. Mai 2009

Mit 1350 Grad quer durch Lüttich


Auch dieses Unikum wird es im Maastal bald nicht mehr geben. Als man in den 60er Jahren bei Espérance-Longdoz endlich vom längst überholten Thomas-Verfahren auf ein modernes LD-Stahlwerk umsteigen wollte und der Platz in Seraing knapp wurde, fand sich schließlich ein geeignetes Gelände auf einer Art Insel zwischen Maas und Albertkanal in Chertal, kurz vor Visé. Das einzige Problem: wie kommt das flüssige Roheisen über eine Entfernung von rund 25 km vom Hochofen zum Stahlwerk.

Gelöst hat man diese Herausforderung mit speziellen Torpedopfannenwagen, die in Profil und Achslast so konstruiert sind, daß sie im normalen Eisenbahnnetz befördert werden können. Mit ihren 12 bzw. 16 Achsen wiegen sie beladen rund 250 bzw. über 300 Tonnen und sind so gut isoliert, daß selbst bei Versuchsfahrten über 300 km zwischen Hayange in Lothringen und Chertal in den 70er Jahren nur geringfügige Temperaturverluste von unter 100 Grad aufgetreten sind. Seither pendeln zwischen dem Hochofen in Seraing, später auch dem in Ougrée, und dem Stahlwerk diese Züge mit 1350 Grad heißem flüssigem Roheisen Tag und Nacht quer durch Lüttich. Nennenswerte Probleme oder Unfälle hat es in all den Jahren nicht gegeben.

Wer über die Autobahn von Aachen in Richtung Brüssel oder Paris fährt, der überquert im Maastal auf einer langen Brücke zuerst die Maas, dann das Werksgelände des Stahlwerks und schließlich den Albertkanal. Häufig sieht (bald: sah) man rechts von der Autobahn auch die mächtige Dampfwolke der Kühlung auf dem Konvertergebäude.

So hört es sich an, wenn eine solche Fuhre mit ihren vielen Achsen über eine Weiche fährt.


Tonaufnahme mit Zoom H2, bearbeitet mit TwistedWave.

Bild: eine G1206 der SNCB (Baureihe 77) mit leeren Torpedos am Abend des 8. 5. 09 in der Ausfahrt des Stahlwerks in Chertal (Pentax K10D, SMC-M 2/85 mm, f5.6, 1/45 s)

1 Kommentar:

Ruhrpottfotograf hat gesagt…

Interessanter Text und tolles Bild! Ergänz mit dem Originalton :-)

Grüße
Joel